D-Day mal anders: Der Tag der Diagnose Tay-Sachs Syndrom

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D er Begriff D-Day oder Doomsday, hat normalerweise eine militärische Bedeutung. Ein D-Day bezeichnet einen Tag an dem zum Beispiel ein Angriff geplant ist, also möglicherweise auch der Beginn eines Krieges. Für uns hat D-Day aber eine andere Bedeutung.

Für uns ist der Begriff D-Day nicht die Abkürzung für Doomsday, sondern für Diagnosis Day, also Tag der Diagnose.

Von seiner Bedeutung weicht er allerdings nicht ab von der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs D-Day. Auch für mich begann an diesem Tag ein Krieg. Ein grausamer, schmerzhafter Krieg dessen Ausgang leider von Anfang an feststand. Doch auch wenn ich schon damals mit Sicherheit wusste, dass es absolut aussichtslos ist, wir dieses Krieg niemals gewinnen können, wir nur den Schaden minimieren können, nicht mal das so richtig, hielt es uns nicht davon ab zu kämpfen.

Wir bewaffneten uns mit völlig irrationaler, fast schon naiver Hoffnung und purem Überlebenswillen und schworen uns durchzuhalten, irgendwie. So lange wie es eben geht.

Und noch leben wir. Noch sind wir hier. Noch kämpfen wir.

Unser persönlicher D-Day war der 25. Juli 2011. Ein Montag.

Eigentlich sollten wir bereits auf dem Weg nach Derventa, Bosnien sein, um dort die Familie von Haylies Vater Zivan zu besuchen. Stattdessen wurden wir von Dr. Mang unter dem Vorwand die Ärzte bräuchten noch eine weitere Blutuntersuchung von Haylie, meiner damals 14 Monate alten Tochter, ins Krankenhaus gelotst. Verärgert nahmen wir den einen Tag Verzögerung in Kauf und fuhren ins Krankenhaus.

Und da waren wir nun.

Kinderkrankenhaus Salzburg. Ambulanz. Untersuchungszimmer 2.

Es roch wie immer nach Sterilium Desinfektionsmittel und wir warteten nichtsahnend auf Fr Dr. Mang.

Wie viel anders wäre es gewesen hätte man uns vorgewarnt, hätten wir gewusst, dass wir gleich die schlimmste Nachricht unsres Lebens bekommen würden. Wahrscheinlich war es besser diese Notlüge zu hören und auf diese Art hierher bestellt geworden zu sein. Auch wenn es uns in dem Moment eher das Gefühl von Verrat und Verschwörung gab.

Die Tür öffnet sich und eine Schar von medizinischem Personal betrat den Raum.

Anders als erwartet.

Wie eine Armee standen viele bekannte und auch unbekannte Gesichter vor uns. Schwer bewaffnet mit medizinischen Fachausdrücken und professioneller Distanz.

Man bat uns Haylie auszuziehen bis auf die Windel, wie immer, und Sie auf die Liege zu legen. Man nahm ihr Blut ab, eine Schwester maß Fieber.

— An viele Einzelheiten kann ich mich gar nicht mehr so genau erinnern. Was wir danach erfahren mussten war so traumatisch, dass vieles in meiner Erinnerung sehr verschleiert ist. Ich bin mir nicht mehr so sicher in welcher Reihenfolge was passiert ist, und ob manche Dinge wirklich passiert sind oder nur in meinen Gedanken. —

Und dann kam die Hiobsbotschaft, traf uns völlig unvorbereitet. Ein Angriff der uns sofort zu Boden warf. Wir waren hilflos, ihnen total ausgeliefert.

Zivan stand direkt bei der Liege auf der Haylie lag, er streichelte ihr Haar. Ich musste mich auf einem der blauen Stühle setzen die an der Wand unter dem Fenster standen. Meine Beine waren ganz weich.

Ich hielt die Luft an als Dr. Koch, Oberarzt der Pädiatrischen Neurologie zu sprechen begann:

„Wir haben nun eine vorläufige Diagnose für Haylie. Dr. Mang wollte euch das nicht am Telefon beibringen, daher die kleine Notlüge. Die letzten Blutuntersuchungen und das Ergebnis des MRT und der Augenuntersuchung haben ergeben, dass Haylie an einer Stoffwechselkrankheit leidet, eine der sogenannten lysosomalen Speicherkrankheiten.“

Ich war wie gelähmt. Saß da auf diesem Stuhl, höchst angespannt. Mir wurde übel von dem Geruch nach Sterilium, den ich sonst eigentlich mag. Meine Hände begannen zu zittern.

“ Die genaue Diagnose wird erst der Gen Test bestätigen können. Aber was ich leider schon sagen kann ist, dass die Krankheit mit einem tödlichen Verlauf einhergeht.“

Wie in Zeitlupe wiederholten sich die Worte immer wieder in meinem Kopf.

„mit einem tödlichen Verlauf. tödlicher Verlauf. tödlicher Verlauf.“

Mein Gehirn kann diese Information nicht verarbeiten.

Das konnte nicht wahr sein, wie sollte so etwas wahr sein? Es ist unlogisch, dass Kinder vor den Eltern sterben, es ist von der Natur so nicht vorgesehen. Es ist einfach zu surreal. Sie lag doch da auf dieser Liege, lächelte und plapperte vor sich hin. Strampelte und war so lebhaft. Wie soll man es glauben können, wenn ein Arzt eine solche Nachricht überbringt? Es konnte nicht wahr sein, es war zu verrückt. Zu unfassbar und zu tragisch.

Zivans Gesichtsausdruck verriet, dass er bis in die Knochen erschüttert war. Er muss dieselbe Angst und das selbe Entsetzen gefühlt haben wie Ich. Er musste sich sichtlich bemühen die Fassung nicht zu verlieren.

Ruhig, vor Schock, streichelte er weiter Haylies Haare und fragte nur

„Wie lange, Wie lange hat sie noch?“

Ich brachte vor lauter Schock gar keine Worte mehr heraus.Ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten als Dr. Koch antwortete:

„Genau kann man es nicht sagen, aber nur wenige Jahre“.

Ich zitterte am ganzen Leib und war immer noch bewegungsunfähig. Gelähmt von diesem Schock der wie eine Granate einschlug. Mein Herz war zerfetzt, mein Gehirn immer noch fassungslos.

Ich musste aber aufstehen und mein Kind berühren. Ich weiß nicht mehr ob ich sie dann erst wieder angezogen habe oder ob sie schon wieder angezogen war, aber ich konnte einfach nicht mehr anders und musste Sie halten. Dann nahm ich Sie in den Arm und setzte mich wieder auf den Stuhl, und weinte. Keine Ahnung wie lange, aber es kam mir ewig vor.

Wie soll ein Mensch begreifen, dass das Kind dessen Schwangerschaft und erste Monate so perfekt verliefen, sterben wird. Dass man nichts tun kann, es nicht aufhalten kann?

Ich war zerstört, kaputt, geschlagen. Ich hielt dieses wunderschöne Kind in meinen Armen. Das Kind, dass ich in Gedanken bereits am Spielplatz herumtollen sah, in einem pinken Sommerkleidchen, unbeschwert und fröhlich. Dasselbe Kind, dass mir in meinen Gedanken eine selbstgebastelte Muttertags-Karte überreichte, auf der in krakeliger Schrift „Ich hab dich lieb Mama!“ geschrieben steht.

Dieses besondere Kind, dass niemals alleine schlafen wollte und nur von Mama oder Papa beruhigt werden konnte. Meine Tochter, die in meinen Träumen Ärztin, oder Model oder Pilotin geworden wäre, egal was, aber ganz sicher wäre sie unbeschreiblich intelligent und erfolgreich. Das Kind, dass ich so gerne aufwachsen sehen würde.

Aber dazu würde es nun nicht mehr kommen. Sie hätte nur wenige Jahre.

Jahre in denen Sie alles was sie bereits gelernt hatte wieder verlernen würde. Kein Greifen mehr, kein Umdrehen. Kein Sitzen mehr und kein Spielen. Sie würde ihre Muskelkraft einbüßen, ihr Gehirn würde langsam abbauen. Sie würde epileptische Anfälle bekommen, erblinden, taub werden und auf künstliche Ernährung angewiesen sein. Ja selbst ihr zuckersüßes Lächeln würde sie irgendwann verlernen. Ihr wunderschönes Lächeln.

Diese Nachricht kann man nicht verarbeiten. Es ist unmöglich. Mein Leben wurde zu einer Tragödie, wie in einem dieser Filme die nur von Hollywood geschrieben werden können. Die so unfassbar traurig oder surreal sind, dass sie eben nur Filme sein können, erfunden. Nicht real.
Wie soll ein Mensch begreifen, dass dieser Horrorfilm, diese Tragödie Wirklichkeit geworden ist? Ich konnte es nicht. Ich konnte nur mein wunderschönes Kind halten und weinen.

Zivan fragte noch einige Sachen, an die ich mich nicht mehr erinnern kann, bis auf eine Frage. Die Frage nach weiteren Kindern. Ich bekam noch mit das Dr. Koch sagte das die Chance das ein weiteres Kind wieder diese Krankheit hätte gleich groß sei wie bei allen anderen Erwachsenen. Später erfuhren wir, dass das nicht stimmte und er offenbar nicht optimal informiert war, oder uns einfach die Hoffnung nicht nehmen wollte.

Als Dr. Koch und die anderen Ärzte den Raum verließen, mussten wir noch mit Dr. Mang irgendein Formular wegen des Gen Tests ausfüllen, und Zivan fragte Sie welche Krankheit denn verdächtigt würde, und ob es die Krankheit ist wegen der wir selbst schon einige Wochen vorher nachgefragt hatten. Sie antwortete mit Ja, sie befürchteten, dass Haylie das Tay-Sachs Syndrom hat.

Unsere Welt brach an diesem Tag für immer zusammen. Wir mussten erfahren, dass unsere einzige Tochter die wir so sehr liebten und für die wir absolut alles getan hätten sterben müsse. Sie würde uns nur eine kurze Zeit lang begleiten. Es war der Tag an dem uns die Hoffnung, die wir in den Monaten zuvor krampfhaft aufrechterhielten, verließ.

Es war mit Abstand der schlimmste Tag meines Lebens.

Fotos by Afra Hämmerle-Loidl www.f-stop.at

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One comment
  1. Ursula B. Antworten
    9. Juli 2018 um 14:44 Uhr

    Liebe Eva !
    Schon seit ich das erste Mal über eine deiner Beiträge „gestolpert “ bin, lese ich mit,lächle ich mit, leide ich mit und weine ich mit. Du schreibst so wunderbar, dass ich Hayle richtig vor mir sah.
    Jetzt da du überlegst was du DANN machen sollst, ich hab schon gelesen, du startest in eine neue Ausbildung – von der ich glaube das ist die absolut richtige – aber ich wollte dir schn länger mal dazu schreiben – möchtest du deine Beiträge nicht als Buch herausbringen?
    Ich glaube das würde auch passen sofern du das auch willst… vielleicht ein kleiner Denkanstoss … weiterhin alles Liebe für deine kleine Familie.
    Was ich dir auch schon länger mal schreiben wollte – du bist bewundernswert wie du das alles geschafft hast, wunderbar und stark.

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Das bin ich! Verheiratete Mama von zwei Mädels, aus Oberösterreich, durch und durch Chaotin, Weltverbesserin, Träumerin und noch vieles mehr, namens Eva. Meine große Tochter Haylie litt am seltenen Tay-Sachs Syndrom und hätte eigentlich nur ca. 3 Jahre alt werden "dürfen", doch sie war eine Superheldin und kämpfte fast 8 Jahre gegen diese Krankheit! Hier lest ihr über unser Leben mit einer tödlichen Krankheit, wie wir mit der Trauer umgehen, aber auch allerhand aus unserem ganz normalen Mami-Wahnsinn!
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