Der Complemento 2018 – und wieso ich es liebe ehrenamtlich tätig zu sein

Blog, Leben mit Beeinträchtigung

Stell dir vor, für einen Moment.

 

S tell dir vor, nur für einen Moment, dein Kind hätte eine „Auffälligkeit“ bei einer Mutterkindpass oder Routine Untersuchung, stell dir vor wie du dich fühlen würdest.

Kannst du dir vorstellen, nur für einen Moment, aus der Auffälligkeit wird mehr, es müssen immer mehr Untersuchungen gemacht werden. Stell dir die Angst vor dem Ungewissen vor, aber auch die Hoffnung, dass es nicht „Schlimmes“ ist.

Mal dir aus, nur für einen Moment, in einen Raum voller Ärzte zitiert zu werden, um eine Diagnose nach Monaten voller Ungewissheit zu bekommen, die dir den Boden unter den Füßen wegzieht.

 

Stell dir vor, nur für einen Moment, hören zu müssen, dass dein Kind eine schreckliche Krankheit hat, dass es kaum Therapien, oder gar keine Therapien/Medikamente dafür gibt.

 

Stell dir vor, nur für einen Moment, hören zu müssen, dass dein Kind sterben wird.

 

Versuch dir die Trauer vorzustellen, die Wut, die Hilflosigkeit, die Zerrissenheit, die Hoffnung, die du dennoch hast, das Gefühl von Dummheit, weil du dennoch Hoffnung hast, die unsagbare Angst.

 

Stell dir vor, nur für einen Moment, dass dein Kind nicht mehr selbstständig essen kann, nicht mehr selbstständig sitzen. Die Wut über den Verlust dieser Fähigkeiten.

 

Denk dir nur für einen Moment aus, dein Kind würde die Fähigkeit zu weinen verlieren, die Fähigkeit zu sprechen, sich zu bewegen oder zu lächeln. Stell dir die unsagbare Trauer vor die du empfinden würdest, müsstest du diesen Verlust erleben.

 

Stell dir vor dein Kind würde zum Pflegefall werden.

 

Versuche dir nur für einen Moment vorzustellen du müsstest deinen Beruf aufgeben, deine Hobbies, deinen Wunsch nach mehr Kindern, um dein schwerkrankes oder beeinträchtigtes Kind pflegen zu können.

 

Mal es dir aus, nur für einen Moment, deine Beziehung würde leiden unter der Diagnose, stell dir vor du und dein Mann trauert unterschiedlich, verarbeitet unterschiedlich, kämpft unterschiedlich.

 

Stell dir vor, nur für einen Moment, deine Freunde wüssten nicht mehr wie sie mit dir sprechen sollen, worüber sie mit dir sprechen sollen, oder wann sie dich überhaupt noch sehen können. Du würdest nicht mehr eingeladen werden, weil du in der Regel sowieso nicht kommen könntest.

Stell dir vor wie einsam du dich plötzlich in deiner Beziehung und in deinem Leben fühlen würdest.

 

Kannst du dir vorstellen, nur einen Moment lang, du müsstest zusehen wie es deinem Kind immer schlechter geht? Jahr für Jahr, Monat für Monat oder Tag für Tag. Stell dir vor wie kraftlos du wärest, wie oft du schon die Hoffnung verloren hättest, um sie dann für dein Kind doch immer wieder aufs Neue zu finden.

 

Stell dir vor, nur einen Moment, du würdest trauern.

Jeden Tag.

Obwohl dein Kind noch am Leben ist. Und stell dir vor du wärst glücklich und dankbar und das alles zur selben Zeit. Mal dir aus du würdest dein Verständnis für deine eigenen Emotionen verlieren. Stell dir das Gefühl vor verrückt zu werden.

 

Stell dir vor, nur für einen Moment, keine Nacht mehr durchzuschlafen. Keine einzige, jahrelang. Wenn du von Kaffee und Red Bull abhängig wirst, weil du anders nicht mehr durch den Tag kommen könntest. Kannst du es in deiner Vorstellung sehen wie müde du wärst, wie ausgezerrt, wie kraftlos?

 

Stell dir vor dein Kind würde sterben. Dein Kind. Deine Liebe. Dein Herz – weg. Für immer.

 

Ehrahne, für einen kurzen Moment, dein Kind nicht mehr sehen zu können, nicht mehr zu berühren. Nicht mehr zu riechen und nicht mehr zu hören. Stell dir die unsagbare Stille vor, die unweigerlich einkehrt.

 

Mal dir aus wie einsam du wärst, wie verloren, wie gebrochen.

 

Stell dir vor, nur für einen Moment, das Grab deines Kindes zu besuchen, Weihnachten und Geburtstage nun dort zu verbringen. Stell dir die Stille vor, die Leere.

 

Kannst du dir vorstellen, für einen Moment nur, deine Kinder könnten ihr Geschwisterchen nur mehr am Friedhof besuchen, kennen es nur durch Bilder? Stell dir vor selbst die letzten Erinnerungen, die sie gemeinsam hatten werden irgendwann vergessen. Stell dir die Angst vor, die dir das machen würde, die Trauer, die Einsamkeit.

 

Es ist unvorstellbar. Stell dir vor, nur für einen Moment, du müsstest das unvorstellbare erleben.

Wenn Kinder sterben

Leider gibt es viele Familien, die genau das erleben mussten, oder gerade erleben.

Die Mamas im Internet schreiben über Rezepte und Ausflugsziele, über Autositze und Kinderwägen, wären es die einzig wichtigen Dinge – doch was, wenn das Kind nicht gesund ist? Was wenn die Eltern eine schlimme Diagnose bekommen?

Als Mutter eines schwerkranken Mädchens weiß ich, wie albern einem all diese Diskussionen im Netz plötzlich vorkommen, wie ausgegrenzt man sich plötzlich fühlt. Man fühlt sich unpassend, so wie ein Puzzlestück, das einfach nicht in das andere passt. Man beginnt sich zu isolieren. So geht es leider sehr vielen Müttern nach solch einer Diagnose.

Und so ging es auch mir nach der Diagnose meiner Tochter.

Doch ich wollte nicht alleine sein. Ich wollte nicht untätig sein, ich wollte es nicht einfach akzeptieren und hinnehmen. Ich wollte etwas ändern. Wollte anderen helfen. Und so habe ich den Verein Hand in Hand für Tay-Sachs & Palliativkinder gegründet und meine ehrenamtliche Tätigkeit war geboren.

Und heute kann ich voller stolz sagen: Ich habe etwas verändert. Ich konnte anderen helfen – und seien es nur wenige Personen. Wenige Mütter und Väter – oder eine ganze Community. Ich habe jemanden geholfen. Bin gewachsen, so wahnsinnig daran gewachsen.

Ich hab so viel dadurch gewonnen. Ich hab so viel dadurch gelernt und bin so dankbar, dass ich anderen helfen darf.

Das Ehrenamt ist ein Geschenk, und man bekommt so viel zurück durch seine Tätigkeit! Und das nicht nur in Preisen.

Denn solche gibt es auch, und ich bin so irrsinnig glücklich – denn ich habe einen solchen Preis gewonnen!

Bei der diesjährigen „Complemento“ Verleihung des Oberösterreichischen Zivil Invaliden Verbandes (ÖZIV) wurde ich von meinen lieben Vereinskolleginnen heimlich (als Ãœberraschung) in der Kategorie Einzelperson (für besonderes Engagement zu Gunsten von Menschen mit Behinderung ) eingereicht, und nominiert! Und am vergangenen Samstag, bei der Preisverleihung, an der ich leider nicht selbst anwesend sein konnte, wurde als der Gewinner bekannt gegeben wurde – tatsächlich mein Name aufgerufen!

Mehr Fotos vom Complenteno findet ihr hier!

Könnt ihr das fassen? Ich konnte es erst nicht. Aber dann hab ich mich riesig über diese tolle Anerkennung gefreut!

Preise sind toll, einfach aus dem Grund, dass es einen noch viel mehr darin bestärkt weiter zu machen. Weil es einem eine riesen Freude macht, wenn andere die harte Arbeit sehen können und anerkennen!

Ich fühle mich wahnsinnig geehrt und bin sehr stolz! Ich hoffe, ich darf das einfach so sagen ohne sofort eingebildet zu wirken.

Warum erzähle ich euch das alles?

Warum erzähl ich euch davon? Will ich mich ins Rampenlicht rücken? Oder angeben? Oder selbst auf den Scheffel stellen?

Nein, absolut nicht!

Ich erzähle euch davon, um euch zu zeigen, dass es wunderschön ist etwas Gutes zu tun. Und es ist fantastisch wenn dein Tun auch anerkannt wird.

Es ist erfüllend, es bereitet Freude, es ist ein so schönes Gefühl. Es macht dich glücklich, dankbar, du lernst dich selbst wieder mehr zu lieben, wirst selbstbewusster. Du fühlst dich stärker, weil du jemanden wirklich helfen konntest. Du kannst in all dem negativen da draußen wieder das Licht sehen – erkennst wahre Menschlichkeit!

Siehst diesen Zusammenhalt, diese Hilfsbereitschaft, du erlebst Güte!

Das ist ein Gefühl, das hebt dich irgendwie auf Wolke 7! Du kannst nicht anders als dich einfach wahrhaftig zu freuen. Ja! So schön kann das Leben sein!

Und diese Freude, die wünsche ich dir auch!

Diese Erfüllung, dieses Glück, diese Liebe – brauchst du – braucht die Welt!

Wir leben in einer angsteinflößenden Zeit. Jeden Tag erfährt man von unsagbar schrecklichen Dingen, die um uns herum geschehen. Verbrechen, Gewalt, Armut, Krieg, Tod, Angst, Umweltzerstörung. Man ist nur noch auf Erfolg getrimmt, es geht nur noch darum beruflich erfolgreich zu sein. Viel Geld ist der Schlüssel zum Glück, das wird uns immer und überall suggeriert. Und um erfolgreich zu sein, um viel Geld und dadurch Erfüllung zu erreichen – gehen wir über Leichen. Ob jemand anderes darunter leidet, interessiert nicht. Ob jemand anderes weniger hat, oder sogar Hilfe braucht interessiert nicht.

Es geht nur mehr um das neueste Iphone, um den teuersten Audi, den größten Fernseher oder den luxuriösesten Urlaub.

Niemand spricht mehr aus, was ich durch Haylie und durch diese ehrenamtliche Arbeit gelernt habe. Nämlich, dass das Glück nicht im Geld oder Macht zu finden ist.

photo by pixabay.com

Das Glück findest du in dir. In dem was du tust. In dem was du für dich tust und was du für andere tust. Das Glück findest du in einem freundlichen Lächeln, in einem netten Wort. Und am meisten Glück findest du in der Dankbarkeit anderer. In den Freudentränen oder in den herzlichen Umarmungen.

Ich schw̦re es euch, das gibt den wahren Adrenalin-kick! Da ist ein Fallschirmsprung nichts dagegen Рund ich muss es wissen, ich bin bereits aus einem Flugzeug gesprungen!

Die Welt, in der wir leben müssen, macht es uns schwer ein guter Mensch zu sein. Gut zu uns zu sein und gut zu anderen zu sein. Sie macht es uns schwer achtsam zueinander zu sein, oder nicht immer nur im eigenen Interesse zu handeln.

In Kindern wie Haylie, oder Elena, oder Ruby oder Mattis oder Matija oder so vielen mehr die ich kennenlernen durfte, sieht man um was es wirklich geht. Sie bringen die Liebe zurück, die der Ursprung von uns allen ist. Ohne Liebe gäbe es uns nicht, und ohne Liebe kann man nicht überleben.

Und obwohl die Liebe so essentiell für den Menschen ist, leben wir in der Welt, in der wir eben leben.

Wir müssen mit Hassparolen und Hetze zurechtkommen, müssen mit Gewalt, Ausbeutung, Verletzung der Menschenrechte, Verfolgung und so viel Wut und Angst zurechtkommen. Und in all dem sollen wir noch den richtigen Weg für uns finden?

In all der Reizüberflutung sollen wir noch wissen, wie wir zu guten Menschen werden, zu glücklichen Menschen oder wie wir unsere Kinder zu guten Menschen aufziehen können?

Es ist schwer da noch seinen Weg zu finden, und manchmal muss man es eben von anderen hören worum es wirklich geht.

Und manchmal muss man es auf die harte Tour lernen, durch eine schwere Diagnose oder ein Wunder namens Haylie.

Ich habe gelernt, und ich bin gewachsen.

Und ich wünsche dir, der diesen Bericht gerade liest, dass auch du zu dir selbst findest und auch du dieses Glück in dir findest, und in deinen Taten.

Ich bin dankbar. So dankbar für diesen Preis, für das Gelernte, für das Herz, dass ich in mir trage. Für Haylie und für alles was sie mir gegeben hat.

 

Ehrenamtliche Tätigkeit ist ein Stützpfahl unserer Gesellschaft und unheimlich wertvoll. Werde ein Teil einer besseren Welt! Sag Ja zum Ehrenamt! (Zum Beispiel hier!) Finde dein Glück.

 

Alles Liebe

 

Ps: Meinen Verein findet ihr auch auf facebook! Jedes Like ist hilfreich und jeder Daumen zählt! Schau doch vorbei! Danke <3

 

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Wer bloggt hier?
Das bin ich! Verheiratete Mama von zwei Mädels, aus Oberösterreich, durch und durch Chaotin, Weltverbesserin, Träumerin und noch vieles mehr, namens Eva. Meine große Tochter Haylie litt am seltenen Tay-Sachs Syndrom und hätte eigentlich nur ca. 3 Jahre alt werden "dürfen", doch sie war eine Superheldin und kämpfte fast 8 Jahre gegen diese Krankheit! Hier lest ihr über unser Leben mit einer tödlichen Krankheit, wie wir mit der Trauer umgehen, aber auch allerhand aus unserem ganz normalen Mami-Wahnsinn!
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