D a der Tod der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich mit diesem wahren, besten Freund des Menschen so bekannt gemacht, daß sein Bild allein nichts Schreckliches mehr für mich hat.
– Wolfgang Amadeus Mozart
Dieses Zitat las der Pfarrer heute bei der Andacht zu Allerheiligen am Friedhof in Mondsee. Bei dem allerersten Allerheiligen an Haylies Grab. Dem ersten seit sie ihre Engelsflügel angenommen hat.
Und ich muss sagen, es war schon schwer für mich. Den einen oder anderen Moment musste ich schon die Zähne zusammenbeißen um stark zu bleiben. Das ist eigentlich doof, denn es ist ja ganz normal und auch authentisch, wenn eine Mama Gefühle zeigt, am Grab ihres Kindes. Aber trotzdem tu ich mir da schwer sobald jemand dabei ist. Irgendwie ist es in mir so eingeprägt, dass man in der Öffentlichkeit nicht die Contenance verlieren darf. Der Tod hat in unserer Gesellschaft so oder so nicht viel Platz.
Er wird gefürchtet, als das ultimative Böse dargestellt. Man lebt als würde man nie sterben, und wenn dann doch jemand stirbt, dann darf man schon trauern, es wird in gewisser Weise auch von einem erwartet, aber halt auch nicht zu lange.
Es wird nicht mehr über den Verstorbenen gesprochen, man weiß auch irgendwie nicht so recht was man noch erwähnen darf oder soll. Es wird so gehandhabt als dürfte man nur hinter verschlossenen Türen trauern. Nur im Bett spät abends, wenn alle schon schlafen.
Zumindest habe ich so irgendwie das Gefühl.
Ich habe auch das Gefühl, dass nicht gerne über den Verstorbenen gesprochen wird, weil man sich dann gleichzeitig auch eingestehen muss, dass das eigene Leben auch endlich und nicht unendlich ist. Wir alle werden einmal sterben. Warum aber hat der Tod und das sterben kaum einen Platz in unserer Gesellschaft. Warum wird der Tod unter den Lebenden totgeschwiegen?
Woher kommt eigentlich diese Angst vor dem Tod? Warum gaukeln wir uns vor wir würden ewig leben?
Am Friedhof wurde heute eine Stelle aus der Bibel vorgelesen, die eigentlich vielen genau diese Angst nehmen sollte:
Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben.
-Johannes 11
Wieso also diese Angst vor dem Tod?
Liegt es daran, dass es weniger Gläubige Menschen gibt, als in den vergangenen Jahrhunderten? Aber diese Angst ist doch nicht neu, diese Angst gibt es doch jeher in unserer Gesellschaft.
Das Leben und der Tod bilden einen Kreislauf. Das Leben könnte nicht existieren ohne den Tod. Es ist ein Kreis. Geburt – Leben – Tod. Gäbe es keinen Tod, wieviel Wert hätte dann das Leben noch?
Wieviel Wert hätte unsere Gesundheit?
Und für den sterbenden ist der Tod selbst meist nicht schlimm. Schlimm ist vielleicht das Leiden vor dem Tod. Aber der Tod selbst ist ganz friedlich.
Haylie hat ganz friedlich losgelassen, sie wirkte nicht leidend.
Der Tod ist nur für die Hinterbliebenen schlimm, denn wir müssen nun in Trauer um den geliebten Menschen sein. Wir müssen ein ganzes Leben lang, bis zu unserem eigenen Tod, ohne den geliebten Menschen sein.
Und wenn man nicht daran glaubt, nach dem Tod wieder zusammenzufinden – in welcher Form auch immer – dann ist die Vorstellung noch um einiges schwerer, der Tod eines geliebten Menschen noch um einiges schwerer zu ertragen.
Ich glaube, dass ich meine Haylie irgendwann wieder sehen und spüren werde. Wir alle zusammen eine Familie sein werden. Wo und wie auch immer. Ich glaube, dass mir Haylie immer nahe ist, auch wenn ich sie nicht sehen und spüren kann.
Bestimmt ist es in ihrem Sinne, nicht andauernd nur traurig zu sein, denn was sie hinterlässt ist nicht nur Trauer. Sie hinterlässt so viel Liebe, die nicht einfach verschwindet. Sie hinterlässt so viele wunderbare Erinnerungen, die wir ganz vorsichtig bewahren. So viel Weisheit, die wir nur durch sie erlangten, und sie hinterlässt und ganz viel Freunde, ganz viele lächelnden Gesichter, wenn wir an sie denken oder über sie sprechen.
Sie ist noch präsent in unserem Leben, und wir freuen uns immer, wenn wir erleben dürfen, dass auch andere sie nicht vergessen haben. Wenn die Menschen um uns ihren Namen aussprechen, ohne verlegen auf den Boden zu blicken.
Sie ist noch ein Teil unseres Lebens, ein präsenter Teil, und das wird sie für immer bleiben.
Wir gedenken ihr nicht nur an Allerheiligen, wir trauern nicht nur an Allerheiligen, wir freuen uns nicht nur an Allerheiligen darüber, dass sie gelebt hat.
Das tun wir jeden Tag.
Aber es war auch schön heute die Familie am Grab zu sehen, die Zitate und Worte des Pfarrers zu hören, und zu sehen wie viele Menschen ihre eigenen geliebten Verstorbenen gedenken und am Grab besuchen.
Sonst ist der Friedhof meist völlig leer. Heute habe ich gesehen, wir sind nicht alleine.
Und wir dürfen uns auch gegenseitig eingestehen zu trauern. Auch in der Öffentlichkeit und das auch nicht nur zu Allerheiligen.
Am Ende des Besuchs am Grab, haben wir den weißen Holzrahmen noch gemeinsam bemalt und ein paar liebe Worte für Haylie hinterlassen. Jetzt ist es ein bunter, von kleinen Kinderhänden verzierter (natürlich optisch nicht perfekter – mein Mann würde sagen „angeschmierter“) Grabrahmen, und genauso gefällt er mir.
Und so hätte er wohl auch Haylie gefallen.
Ãœbrigens habe ich die Angst vor dem Tod weitestgehend verloren, als ich sah wie friedlich meine Maus gestorben ist. Auch zu sehen, wie ein toter Körper aussieht – den Unterschied so deutlich zu erkennen, zwischen des lebenden und des toten Körpers, hat mir diese Angst genommen. Ich konnte ganz deutlich sehen, dass Haylie dort nicht mehr drinnen war.
Der Mensch ist nicht nur einfach eine Maschine – die Seele gibt es, und erst sie macht uns zum Menschen. Und zu sehen, wie Haylie nach dem Tod aussah (was übrigens gar nicht angsteinflößend, oder „schirch“ oder schlimm aussah) war für mich der Beweis sozusagen, dass unsere Seele – das was uns ausmacht – irgendwo hingehen muss. Und ich hoffe, es ist ein Ort, an dem wir uns irgendwann wiedersehen werden.
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