Ich weiß nicht, liegt‘s an mir oder heiratet zurzeit irgendwie jeder? Auf Facebook liest man immer wieder von Verlobung oder erblickt wunderbare professionelle Hochzeitsfotos von den verschiedensten Freunden. Vielleicht liegt es auch am Alter, jetzt gehe ich ja doch schon langsam auf die Dreißig zu und irgendwie heiraten immer mehr in meinem persönlichen Umfeld. Ganz klar, dass man sich selbst dann auch Gedanken zu diesem Thema macht.
Doch diese Gedanken sehen wahrscheinlich anders aus als man es jetzt erwarten sollte. Mich beschäftigt weder der klischeehafte Druck des Alters (die verhasste 30) noch kitschige Mädchenträume von dem so oft genannten schönsten Tag im Leben.
Ich bin nicht der Typ der nach nur einem Jahr Beziehung schon ans Heiraten denkt, es wäre viel zu verfrüht und ich habe durch die Scheidung meiner Eltern eine sehr konservative Einstellung zur Ehe. Die „Qualen“ einer Scheidung würde ich meinen eigenen Kindern niemals antun wollen. Daher war ich selbst so lange ich denken kann davon überzeugt, dass wenn man heiratet, dann muss man sich sicher sein, dass es wirklich hält. Dann muss man es einfach wissen. Doch wie soll man das wissen?
Sicher kann man sich nie sein, aber man sollte schon jahrelang zusammen sein oder zumindest schon vieles miteinander durchlebt haben, sodass man es vielleicht eher einschätzen kann wie stabil die Beziehung ist oder eben nicht. Wie viele Probleme und Hürden, Streite und Diskussionen und Enttäuschungen eine Partnerschaft überwunden hat, so war immer meine Vorstellung, ist ausschlaggebend ob eine Ehe standhält oder eben nicht.
Und für mich gibt es keine Scheidung. Wenn Ehe dann für immer.
Somit war immer klar, die Eva wird so bald nicht heiraten. Nach der Trennung von Haylies Vater hatte ich erst mal nicht damit gerechnet überhaupt so schnell jemanden zu begegnen, der mich wirklich sieht, mein wahres Ich, und mich auch noch mag. Ich hätte niemals gedacht, dass ich mich so schnell so sehr verlieben kann, geschweige denn dass ich überhaupt jemanden finde der bereit ist, mich in so einer speziellen Situation kennenlernen zu wollen, schon gar nicht, dass sich eine so tolle Beziehung daraus entwickelt.
Doch das unerwartete, in meinen Augen fast unmögliche, ist geschehen: Ich bin ihm begegnet, diesem besonderen Menschen, der sich freiwillig, völlig bewusst darauf einließ, diesen schweren Weg gemeinsam mit mir zu gehen. Dafür bewundere und liebe ich ihn unheimlich. Denn es ist etwas Anderes, wenn das eigene Kind krank ist, wie Haylie, denn als Elternteil hat man keine Wahl. Sicher gibt es auch da schwarze Schafe die ihren Partner dann mit dem kranken Kind alleine lassen und sich aus der Affäre ziehen, aber eine richtige Wahl hat man als Elternteil nicht. Bekommt man so eine Diagnose, dann muss man da einfach durch, auch wenn man denkt man könnte es nicht. Man lernt, wächst hinein, bis man es eben kann.
Aber als Außenstehender, freiwillig in Kauf zu nehmen, eine Beziehung zu einem Kind aufzubauen, dass sterben wird, somit in Kauf zu nehmen selbst zu leiden, und alles nur für die Frau die man liebt, ist schon wirklich unfassbar.
Und man darf nicht vergessen, dass es auch vorherzusehen ist, dass dann diese eine Frau, für die man das alles riskiert, nach dem Tod ihres Kindes vielleicht völlig verändert ist. Wer kann vorhersagen wie es mir gehen wird, wenn mein stärkster Motor im Leben weg ist? Wenn der wichtigste Mensch in meinem Leben, meine Sonne um die ich mich drehe, mal nicht mehr ist. Vielleicht breche ich zusammen, werde depressiv, vielleicht verdränge ich durch Partys feiern oder wandere aus um irgendwo ein neues Leben zu beginnen. Vielleicht übermannt mich die Trauer, vielleicht werde ich nicht mehr dieselbe sein. Vielleicht werde ich nie wieder glücklich sein, nie mehr heilen. Vielleicht werde ich mich nie mehr ganz fühlen, wenn der wichtigste Teil von mir fehlt. Und auch das nimmt dieser unglaubliche Mann auf sich, dieses Risiko geht er meinetwegen ein. Unfassbar, oder?
So einen Mann muss man einfach lieben.
Hat man ein lebenslimitierend krankes Kind, dann fängt man irgendwann an nachzudenken. Eben darüber wie die Zukunft für einen aussehen wird, und hat man so einen tollen Partner denkt man natürlich auch über das Thema Hochzeit nach.
Und speziell jetzt beschäftigt es mich sehr. Weil ich Angst habe vor der Zukunft die vor mir liegt.
Angst davor nicht zu heiraten, eben aus oben erwähnten Gründen, und dann nach Haylies Tod vielleicht gar nicht mehr so glücklich sein zu können. Angst davor eine Hochzeit ohne Sie zu feiern. Angst vor einem Leben in Trauer, indem kein Platz mehr ist für dieses naive und „sich die Beine ausreißen wollen vor Glück“- verliebt sein, und somit auch kein Platz mehr für eine Hochzeit. Es sollte doch der schönste Tag im Leben sein. Aber stellt man sich vor, dass sein Kind stirbt, wie soll man dann noch jemals „den glücklichsten Tag seines Lebens“ erleben können?
Ich habe Freunde aus allen Teilen der Welt, deren Kinder dieselbe oder eine ähnliche Diagnose haben oder hatten. Viele sind ungefähr zur selben Zeit geboren wie Haylie, und fast alle davon sind mittlerweile gestorben. Nur zwei der Kinder die wir seit längerem kennen, die ungefähr im selben Alter sind wie Haylie, leben noch. Es waren mal um die Zwanzig. So viele Kinder sind gestorben und so viele Kindersärge haben wir gesehen, mittlerweile. Schockierend… Beängstigend…
Jeden Tag fragt man sich selbst: wie lange wird Sie wohl noch kämpfen können? Sie ist fünf Jahre und fünf Monate alt. Zwei Jahre älter als das Alter in dem der Durchschnitt der Patienten mit dieser Krankheit stirbt.
Und ich stehe nach wie vor in Kontakt mit den Familien, die ihre Kinder bereits verloren haben. Ich sehe wie sie sich durchs Leben kämpfen, wie viel Leid sie ertragen müssen.
Ich lese von Müttern die ihre Kinder bereits vor zehn Jahren oder länger begraben haben und immer noch leiden! Trauer vergeht nicht einfach so. Man lebt nicht weiter und vergisst irgendwann.
Der Schmerz wird nicht weniger, wie es uns oft erzählt wird, das ist einfach nicht wahr. Man lernt nur besser damit umgehen zu können. Man lernt trotz des Schmerzes zu lachen und einfach weiter zu machen. Auch wenn jeder Tag ein Kampf ist. Auch wenn es jeden Tag weh tut, dass man selbst am Leben ist und sein Kind nicht.
Ich selbst habe sie noch nicht erlebt, diese Trauer. Aber zu lesen, zu sehen wie diese Eltern leiden. Das macht mir unheimliche Angst. Unvorstellbare Angst vor der Zukunft.
Davor die nächsten 60 Jahre in Trauer und Schmerz leben zu müssen.
Wie könnte man sich dann vorstellen noch jemals zu heiraten? Wie sollte der „Glücklichste Tag im Leben“ aussehen, wenn man doch gar nicht mehr richtig glücklich sein kann?
So wünsche ich ihn mir nicht, diesen Tag. So möchte ich ihn nicht verbringen.
Ich möchte meine wunderschöne Tochter bei mir haben an diesem Tag, möchte mein Glück mit ihr teilen, möchte Sie in einem hübschen Blumenmädchenkleidchen sehen und diesen Tag mit ihr gemeinsam feiern. Zu einer richtigen Familie werden. Dann könnte es wirklich der „schönste Tag in meinem Leben“ werden. Wie sollte das ohne Sie funktionieren?
Was also soll man tun, wenn man ein lebenslimitiert krankes Kind hat? Wenn man weiß, dass die Zeit immer knapper wird. Wenn man jederzeit damit rechnen muss Abschied zu nehmen. Wenn man gezwungenermaßen spontan wird und jeden Tag so nimmt wie er kommt?
Wenn man nichts mehr planen kann?
Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Verlobung? Wie lange sollte man warten und auf was genau sollte man eigentlich warten? Was ist ausschlaggebend für den Entschluss zu heiraten? Das habe ich nun auch einige Freunde gefragt. Einige davon haben selbst kranke Kinder, andere sind ganz normale gesunde Menschen.
Also sehe ich die vielen frisch verheirateten Freunde auf Facebook, sehe ihre wunderschönen Fotos und frage mich ob es jemals auch solche Bilder von mir geben wird. Von mir mit meiner wunderschönen Tochter. Und so kann ich nicht anders als mir vorzustellen wie es wäre, und wahrscheinlich sehe ich auch darum gerade alles und jeden heiraten. Weil man wenn man so wie ich nicht wirklich lebt, sondern nur überlebt, nun mal keine Pläne machen kann. Weil einem nur die Vorstellungen bleiben.
Ps: Ja, über so persönliche Dinge ist es vielleicht nicht üblich in einem Blog zu schreiben. Vielleicht ist es nicht interessant oder ihr denkt euch, ich sollte doch lieber mit meiner besten Freundin darüber reden, aber das ist nun mal auch Teil des Lebens mit einem sterbenden Kind. Das gehört auch dazu, Ängste zu haben, egal ob rationale oder völlig irrationale. Und auch wenn es mich Kraft und Tränen kostet, meine persönlichsten Gedanken niederzuschreiben möchte ich Sie mit euch teilen. Um euch noch mehr Einblick zu geben, wie das Leben wirklich ist, in einer so speziellen Situation und um euch mal zu sagen, wie glücklich ihr euch schätzen könnt, dass ihr über solche Dinge nicht nachdenken müsst! 😉
Angelina, 24. Juni 2021